Ich bin also eine Rüttelfrau. Das habe ich von einer jungen Kollegin gelernt, die jüngst verlauten ließ, sie habe Angst Kinder zu kriegen, weil sie dann Gefahr laufe, eine Rüttelfrau zu werden. Was das ist? Eine Wortneuschöpfung. Meine Kollegin hat in New York eine Mutter dabei beobachtet wie sie ihren Kopf in einen Kinderwagen steckte und hin und her wog, damit das Kind einschlief. Und dann sah sie, dass sich das Baby an einem Finger der Mutter festhielt und diese in einer Art Hock-Gang neben dem Kinderwagen herlief.
Meine Kollegin kennt solche Frauen, aus dem Berliner Prenzlauer Berg. Es sind Frauen, die Biospucktücher zu kurzen Haaren tragen, mit Männern, die nur noch Väter sind. Jetzt hat sie Angst. Sie fürchtet, dass sie genauso werden könnte wie die „irre Rüttelfrau“, dass sich ihr Gehirn auf seltsame Art verändert und sie nicht mehr Herrin ihrer Sinn ist, wenn sie Mutter wird.
Sie ist nicht die erste, die sich über die Veränderungen von Menschen echauffiert, die Eltern geworden sind. Und sie wird nicht die letzte bleiben. Vielleicht ist es eine Art natürlicher Reflex, dass sich Frauen so lange über Frauen, die Mütter sind, lustig machen, bis sie selbst Mütter werden.
Was diese Frauen gern vergessen, ist, dass sie selbst einmal Kinder waren, und dass sie – das wünsche ich ihnen wenigstens – eine Mutter hatten, die sie in den Schlaf gewogen, die nachts an ihren Bettchen gewacht, Tränen getrocknet und Händchen gehalten hat.
Meine Kollegin hat sich sogar kürzlich bei ihrer Mutter bedankt, am Muttertag, mit einem schönen Text über den Einfluss, den Mütter auf das spätere Leben ihrer Kinder haben. Fazit: Zu wenig Bindung führt zu späteren Verhaltensauffälligkeiten. Warum sie jetzt Angst hat, dass sie zu einer Rüttelfrau wird, leuchtet mir unter diesen Umständen nicht mehr so richtig ein. Aber vielleicht kann man ihr ja ein kleines Bisschen ihrer Angst nehmen.
Denn auch wenn es ihr möglicherweise nicht auffällt: In der Redaktion, zu der sie gehört, wimmelt es von jungen Müttern und Vätern, die immer noch Frauen und Männer sind. Sie tragen saubere Klamotten, sagen nicht den ganzen Tag „gacka“ und „gucku“, sie gehen aufrecht und Biospucktücher habe ich an ihnen bisher nicht entdeckt.
Wenn sie ihre Artikel geschrieben, ihre Nachrichtenschichten beendet, ihre Projekte fertiggestellt haben, dann beginnt ihre zweite Schicht. Dann gehen sie in eine Kita oder Schule und holen ein kleines Wesen ab, das ihres Schutzes, ihrer Zuwendung und ungeteilten Aufmerksamkeit bedarf. Dann singen sie Kinderlieder und basteln womöglich kleine Kastanienmännchen – und zwar unabhängig davon, ob sie selbst einen ausgeprägten Hang zum Basteln haben oder nicht.
Sie halten die Händchen ihrer Kinder, manchmal sogar stundenlang. Sie lassen sich um den Schlaf bringen und stehen am nächsten Morgen trotzdem wieder geschniegelt in der Redaktionskonferenz. Warum sie sich das antun?
Weil sie beides wollen: Eltern sein und ein Lebens jenseits dieser Rolle führen. Es ist ein Drahtseilakt, den man da vollführt, es ist anstrengend, es lässt einen manchmal verzweifeln. Aber es ist machbar. All die Eltern hier beweisen es jeden Tag.
Ich bin gern eine Rüttelfrau, wenn es sein muss, und ich gehe im Hock-Gang, wenn mein Kind meine Hand halten möchte. Ich mache das nicht, weil mein Gehirn nicht mehr richtig funktioniert, sondern aus Überzeugung. Ich glaube nämlich, dass meine Kollegin Recht hat: Zu wenig Zuneigung führt zu Verhaltensauffälligkeiten. Also lasst die Mamas dieser Welt doch bitte rütteln!